Niemals darf wieder jemand behaupten dürfen, man hätte von
nichts gewusst
Am vergangenen Mittwoch hat das Recherchenetzwerk CORRECTIV
seine Reportage über ein Zusammentreffen rechtsextremer Akteure aus ganz
Deutschland veröffentlicht. Der Bericht hat Staub aufgewirbelt und das zu
Recht. Führende Kader der AfD, rechte Demagogen, finanzstarke Unternehmer und ein Aktivist
der rechtsextremistischen Identitären Bewegung aus Österreich kamen am
Lehnitzsee zusammen, um ihre menschenverachtenden Deportationspläne im Falle
einer Machtübernahme zu konkretisieren. Ihre gewaltsamen Vertreibungsabsichten
gelten in erster Linie (post)migrantischen und migrantisierten Menschen, aber
auch all jenen, die sie als ihre politischen Gegner*innen ausmachen. Explizit
wurden dabei auch in der Geflüchtetensolidarität engagierte Menschen als Ziele
ihrer völkischen Säuberungspolitik benannt. Nicht nur, aber auch deshalb wollen
wir uns als Augsburger Flüchtlingsrat in diesem Kontext zu Wort melden.
Es ist gut, dass es die Recherche des CORRECTIV-Netzwerks
gibt. Und es ist gut, dass die Recherche etwas Staub aufwirbelt. Nicht, dass es
den von rechtem Hass Betroffenen nicht schon zuvor klar gewesen wäre. Aber es
schadet sicherlich nicht, wenn es laut, deutlich und immer wieder in die
Öffentlichkeit getragen wird: Wir haben es in Deutschland und Europa mit einem
seit Ende des Zweiten Weltkriegs beispiellosen Rechtsruck zu tun. Der
Faschismus breitet sich aus. Er breitet sich in Griechenland, Italien, Ungarn,
Portugal, Spanien, Frankreich und an vielen anderen Orten aus. Und er breitet
sich auch in der Bundesrepublik aus. Er findet seinen Weg in die Parlamente,
in die Institutionen, in den öffentlichen Diskurs und in immer mehr Köpfe der
Bevölkerung.
Gleichwohl sind die in einem Luxushotel bei Potsdam
verhandelten Themen keineswegs neu. Wer in den letzten Jahren bspw. eine
Veröffentlichung von AfD-Politiker*innen wie Bernd Höcke in die Hand bekommen
oder womöglich gar die Erkenntnisse eines der zahlreichen antifaschistischen
Recherchekollektive zu Kenntnis genommen hat weiß, dass nichts an den Inhalten
der CORRECTIV-Reportage wirklich neu ist. Niemand hätte überrascht sein müssen.
Statt all das also schon früher zur Kenntnis zu nehmen, war es in den letzten
Jahren vielmehr oftmals so, dass antifaschistische Kräfte mit staatlichen
Repressionen überzogen, in ihrer Arbeit behindert und kriminalisiert wurden.
Aber wie gesagt: Es ist gut und wichtig, dass
zivilgesellschaftliche Akteure diesen Dynamiken trotzen und weiterhin
aufdecken, wo und wie die Rechten ihre menschenverachtende Politik planen.
Anders als häufig in den Medien zu hören und zu lesen ist,
handelt es sich bei alledem aber wohlgemerkt nicht um ein bloßes AfD-Problem. Ohne
Zweifel ist die AfD die derzeit erfolgreichste parteiförmige Manifestation des
Rechtsextremismus in Deutschland. Die AfD aber gedeiht nicht zuletzt deshalb so
prächtig, weil ihr von nahezu allen anderen politischen Kräften in der BRD der
ideologische und diskursive Nährboden bereitet wird. Wenn der sozialdemokratische
Kanzler Scholz auf dem Spiegel-Cover nicht etwa eine solidarische Sozialpolitik
propagiert, sondern kraftmeiernd nach Abschiebungen im großen Stil verlangt,
wenn der privatversicherte Führer der größten Oppositionspartei völlig
wahrheitswidrig von Asylbewerbern in Zahnarztpraxen schwadroniert, wenn Lindner
und Buschmann die verfassungswidrige Kürzung von Sozialleistungen für
geflüchtete Menschen fordern, wenn allerorten Politiker*innen die Axt an das
individuelle Recht auf Asyl legen und im Geiste Seehofers von Migration als der
„Mutter aller Probleme“ fabulieren, dann verdeutlicht das, wie
selbstverständlich und allgegenwärtig das ausgrenzende und menschenfeindliche rechte
Denken mittlerweile ist, das die Demokratie und den Rechtsstaat bedroht. Als
Frauke Petry und Beatrix von Storch 2016 den Schießbefehl an der Grenze
forderten, mobilisierte das in Augsburg unter dem wahrscheinlich irgendwie
lustig gemeinten Slogan Amore statt Peng Peng noch unzählige Menschen zum
Protest auf den Rathausplatz. Kurt Gribl und seine CSU-Konsorten waren damals ganz
vorne mit dabei. Wenn heute jedoch mit Jens Spahn ein führender CDU-Politiker
fordert, „mit physischer Gewalt irreguläre Migrationsbewegungen auf[zu]halten“,
dann löst das bei seinen Parteifreunden und in der breiteren Öffentlichkeit nur
noch ein müdes Gähnen aus.
Diesem Trend gilt es entgegenzutreten. Es gilt,
antifaschistischen Widerstand zu organisieren und zu bündeln. Der Anfänge
können wir nicht mehr wehren, dafür sind die Entwicklungen schon zu weit
fortgeschritten. Aber wir können alles erdenkliche Tun, um diesen Trend
umzukehren, um den Faschismus von der Straße und aus den Hinterzimmern, den
Parlamenten und den Köpfen zu bekommen. Wir müssen es tun, weil uns keine
andere Wahl bleibt!
Auf den Staat können wir uns dabei wohl nicht wirklich
verlassen. Wenn besagter Kanzler Scholz im rechten Geheimtreffen von Potsdam ein
verfassungsrechtliches Problem erkennt und nach dem Verfassungsschutz ruft,
dann müssen wir zuerst an Hans-Georg Maaßen denken, der diese Institution über
Jahre hinweg leitete und auch in diesem Amt sein rechtsextremes Gedankengut
verbreitete. Wenn nach intensivierten Aktionen der Sicherheitsbehörden gerufen
wird, dann müssen wir zuerst an den NSU, den NSU 2.0, an Oury Jalloh und viele
andere Opfer von Polizeigewalt denken, an das Versagen der Behörden rund um die
rechten Terrorakte von Hanau und Halle usw. usf. Auch die etablierten Parteien
bieten uns derzeit ganz offensichtlich keine Möglichkeit zur Kooperation. Von
ganz rechts außen getrieben, überbieten sich auch die bürgerlichen Kräfte der
sogenannten Mitte in rechter Rhetorik und ausgrenzender Politik. Das Lob, das
aus der rot-grün-gelben Ampelregierung über die unlängst auf europäischer Ebene
mit deutschem Segen verabschiedeten, menschenrechtlich fatalen GEAS-Regelungen
zu hören war, spricht dafür Bände. Ebenso wie der Schmusekurs gegenüber den
Faschist*innen an der italienischen Regierung.
Wir müssen uns also zivilgesellschaftlich zusammenfinden und
gegen den Rechtsruck eintreten. Neben dem Zurückdrängen rechten Denkens und
Tuns bedeutet das nicht zuletzt auch, für den Erhalt des individuellen Rechts
auf Asyl zu streiten und selbstorganisiert all jenen Menschen Schutz und
Solidarität zu verschaffen, die von rechter Gewalt bedroht oder betroffen sind!